Wo stehe ich?

Gottes Friede sei mit uns an diesem Karfreitag,
der Friede des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Gott, du kennst mich
Wo ich auch sitze
       oder stehe - du verstehst meine Gedanken von ferne
Wo ich auch gehe
      oder liege - du bist um mich
Von allen Seiten
       umgibst du mich - und hältst deine Hand über mir

(nach Psalm 139)

Wo ich auch stehe, Gott versteht mich.
Ein Trost in diesen traurigen Tagen und an diesem Karfreitag 2020, an dem viele Menschen nicht wirklich sagen können, wo sie stehen, oder an dem so manche an einem ganz anderen Punkt im Leben stehen als noch vor wenigen Wochen.

Wo stehe ich?
Ich stehe abgearbeitet und verzweifelt am Bett der Sterbenden, weiß nicht, was ich denken, fühlen, entscheiden oder beten soll.
Wo stehe ich?
Ich stehe vor dem Aus, weiß nicht wie es finanziell weitergeht, weiß eigentlich überhaupt nicht, wie wir aus der derzeitigen Misere rauskommen können.
Wo stehe ich?
Ich stehe am Bordstein und winke den Lieben zu, die hinter Scheiben oder auf Balkonen auf Abstand sich über ein Lebenszeichen freuen.
Wo stehe ich?
Ich stehe im „status“ wie so viele, und sehe, wie sie in ihren vier Wänden oder in ihrem Garten versuchen, die Zeit zu füllen und sich am Leben zu erfreuen inmitten von Angst und Not.
Wo stehe ich?
Ich stehe entsetzt vor den Bildern und Nachrichten über eine todbringende Krankheit, die die Menschheit in Atem hält und tausenden den Atem nimmt und den Tod bringt.
Wo stehe ich in meinem Leben?
Nicht mehr dort, wo ich noch vor Kurzem stand, weil ich Demut und Dankbarkeit und Geduld neu lerne und noch einmal neu sortiere, was mir eigentlich viel bedeutet und was nicht.
Wo stehe ich in meinem Glauben? 
Ich weiß es nicht und suche nach Antworten, weiß nur, dass es mich irritiert, wenn Menschen nun einen genauen Plan haben.
Wo steht die Welt?
Sie steht nicht dort, wo sie nach unseren Gedanken, Plänen und Prognosen hätte heute stehen sollen. Sie steht gewissermaßen still.

Karfreitagsstimmung.

Wo stehe ich?
Diese Frage steht unter dem Karfreitagsbild, das wir vor einigen Jahren hier in unserer Matthäuskirche im Rahmen der „Passionswerkstatt“ gestaltet haben. Wir hatten vorher den Passionstext aus Johannes gelesen.

Heute, an Karfreitag, denken wir an das, wovon er erzählt, an Jesu qualvollen Tod am Kreuz. Und wir denken an viele andere Menschen, deren Sterben uns ebenfalls entsetzt und sprachlos und traurig macht. Ihr Leiden bewegt und bedrückt uns. 

Die lila-blau gefärbte aufgetürmte Welle im Bild drückt dies aus. Sie zeigt, wie etwas Bedrohliches uns mitreißen, wegreißen, wegspülen ja untergehen lassen könnte, so wie eine Welle der Sorgen und der Angst uns überfallen kann, so wie ein Strudel dunkler Gedanken und Gefühle uns runterziehen kann. Da ist kein Halt möglich. Da kann niemand fest stehen.

Aber aus der dunklen Welle heraus erwächst das Kreuz, das wir damals ganz schlicht aus 2 Ästen auf die Holzplatte geklebt haben. Es schwebt wie eine Art Anker zwischen aufgewühltem Meer und feurigrotem Himmel. Es wird nicht fortgerissen. Es hat Halt. Es streckt sich nach oben dem Himmel entgegen, der Sonne, dem Leben.

Es ist eigenartig, dass dort, wo gestorben wird, am Horizont das Leben erscheint. Das ist wie bei dem Tod Jesu. Da standen die Frauen unter Jesu Kreuz, sicherlich entsetzt, hilflos, und traurig.
Konnten sie und auch der Jünger, der dabei stand, eigentlich dieser schrecklichen Situation standhalten? Konnten sie wirklich alles mitansehen und bei ihm stehen, ihm beistehen in seinem qualvollen Tod? Konnten sich wirklich versprechen, was diese Liedzeile aus dem Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ ausdrückt:

Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen, wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen in meinen Arm und Schoß. (EG 85, 6)

Mir kommen angesichts des Bildes und der derzeitigen Situation andere Gedanken:
dass nicht wir dem sterbenden Jesus Halt schenken können, sondern dass der sterbende Jesus uns Halt schenkt; dass nicht wir bei Jesus stehen, sondern er bei uns steht in unserer Not und noch in seinem Sterben an unsere Weiterleben denkt. Er sagt denen, die zurückbleiben:
Schau dich um und nimm dich deines Nächsten an.
Schau, du stehst neben einer Frau, behandle sie wie deine Mutter.
Schau, du stehst neben einem jungen Mann, behandle ihn wie deinen Sohn.
Im Sterben kümmert sich Jesus noch darum, dass Menschen, die Not erleben, einander wahrnehmen und sich umeinander kümmern. Im Sterben denkt Jesus an das Weiterleben anderer.

Ich muss an den 72jährigen Priester Giuseppe Berardelli aus Bergamo denken. Er war wie so viele in seiner Heimat an dem Coronavirus erkrankt.
Was sollten die Medizinerinnen und Mediziner angesichts der dramatischen Lage und selbst am Ende ihrer körperlichen und seelischen Kräfte tun?
Der Priester hat ihnen die Antwort abgenommen. Er hat zugunsten eines jüngeren Patienten auf ein Beatmungsgerät verzichtet, damit dieser und nicht er weiterleben kann.

Karfreitagsereignisse und Karfreitagsgedanken 2020.

 

Möge Gott uns durch seinen Sohn Jesus Christus
beistehen, helfen und segnen. Amen

Es kommt Ostern – ganz gewiss!

Ihre und eure Ulrike Menzel

Jesu Kreuzigung

Johannes 19, 25-30 i.A.

Es STANDEN aber
bei dem Kreuz Jesu
seine Mutter
und seiner Mutter Schwester,
Maria, die Frau des Klopas,
und Maria von Magdala.
Als nun Jesus seine Mutter sah
und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte,
spricht er zu seiner Mutter: 
Frau, siehe, das ist dein Sohn!
Danach spricht er zu dem Jünger: 
Siehe, das ist deine Mutter! 
Und von der Stunde an
nahm sie der Jünger zu sich.
Danach, als Jesus wusste,
dass schon alles vollbracht war, …,
sprach er: 
Es ist vollbracht!, 
und neigte das Haupt
und verschied.


Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;
mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen?
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.

Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,
mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.
Hast du mit Namen mich in deine Hand,
in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben?
Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?
Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?

Sprich du das Wort, das tröstet und befreit
und das mich führt in deinen großen Frieden.
Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt,
und lass mich unter deinen Söhnen leben.
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.
Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete. 

(EG 382 - Text: Huub Oosterhuis
Übertragung: Lothar Zenetti)

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