Singen verboten ?

Gedanken zum Sonntag Kantate, 10. Mai 2020,

von Pfarrer Andreas Menzel

und Klänge von der Orgel der Matthäuskirche,

gespielt von Kirchenmusikerin Ute Wiegard

Kantate ? Kantate !!!

Was wäre das schön:

einfach drauf los singen
sich treffen im Chor,
Rudelsingen im Park.
Oder mal wieder auf ein Konzert gehen,
das Musikforum besuchen,
Straßenmusik machen,
in der Kirche singen.

Geht in diesen Tagen alles nicht.

Schmerzlich wird mir vor Augen geführt, was nicht geht.

Kantate – singt!

Diese Aufforderung ist das Motto des heutigen Sonntags, des 10. Mai 2020.
Wie es scheint, ist es die falsche Idee zur falschen Zeit.
Könnte man meinen.

Doch es gibt Menschen, die lassen sich nicht vom Singen abhalten.

Die singen heute unter der Dusche oder im Auto.
Vielleicht auch auf der Straße oder im Park.
Alleine singen, das geht.
Auch zusammen wird hier und da gesungen, mit Abstand zueinander oder virtuell miteinander verbunden. Es gibt Musiker, die sind da ganz schön kreativ.
Manche Liedermacher und Dichter haben in den letzten Wochen „neue“ Lieder gedichtet und gesungen,

Was würde ich singen, was würdest Du singen, wovon würden Sie singen
in diesen Tagen?
Könnten Sie ein neues Lied singen, hätten Sie eins?

Manchmal bekommen ja auch alte und bekannte Texte eine neue Bedeutung.
Für mich persönlich ist es in diesen Tagen ein Lied, dessen Melodie aus Brasilien stammt: „Cantai ao Senhor um cantico novo … Singt Gott unserm Herrn, singt ihm neue Lieder …“

Ein deutscher Text von Fritz Baltruweit und Barbara Hustedt auf diese Melodie bringt zum Ausdruck, worum es bei Liedern gehen kann – oder worin die Chance im Singen liegt: „Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben …“ Es geht darum, die ganze Vielfalt des Lebens im Singen zum Ausdruck zu bringen – also nicht nur Freude und Glück, sondern auch Traurigkeit und Sorgen. 

Singen ist etwas anderes als sprechend erzählen,
das Singen berührt meine Emotionen.

Ich lasse mich hineinfallen in Worte und Klänge, die andere gefunden haben. Beim Singen mache ich die Erfahrung, wie diese Worte und Töne zu meinen eigenen Worten und Tönen werden. Singend spüre ich eine Verbindung – mit anderen Menschen, mit einer Geschichte.

Für die einen geschieht das im Stadion, wenn der lautstarke Fan-Gesang die Arena erfüllt. Andere erleben das bei einer Hymne, die an besonderen Tagen erklingt. Oder bei den Klängen des Liedes, das ein Liebespaar bei seinem ersten Date gehört hat. Im Kinderlied, das jemand jahrelang vor dem Einschlafen gehört hat. Viele könnten da ihre eigene Geschichte erzählen. Singen verbindet, bringt zum Ausdruck: Du bist nicht allein, mit dem was Dich bewegt. Du kannst deine Gefühle teilen, ohne selber komplizierte Gedanken zu formulieren. Lass Dich einfach hineinfallen in Melodien und Worte, die andere schon gefunden haben. Manches passt vielleicht nicht immer hundertprozentig auf Deine Situation. So ist das nun mal.

Singen hat viele Facetten.

Nach Singen ist einem nicht immer zumute – oder treffender gesagt, nach einer bestimmen Art von Gesang. Das ist vielleicht auch eine Frage der Kultur und der Prägung. Wenn wir unsere Gefühle unter Kontrolle haben wollen, dann nehmen wir vom Singen manchmal Abstand. Wer weiß, welche Emotionen sich über die Musik einen Weg bahnen, die ich lieber für mich im Verborgenen behalten möchte.  Ich finde aber, Gesang und Musik sind Kommunikationsweisen, die mir nicht nur dann gut zu Gesicht stehen, wenn ich von solchen Gefühlen erfüllt bin, die ich gerne „draußen“ zeige, aus mir raus lassen möchte – sondern auch dann, wenn meine Stimmung traurig und sorgenvoll ist.

Die Musik ist eine Chance.

Ich brauche, wünsche mir dafür einen geschützten Raum:
den bergenden Raum einer Gemeinschaft, die mich trägt und in der ich sein darf. Die christliche Gemeinde kann diesen Ort bieten. Mit vielfältigen Liedern, neuen und alten, traditionellen und innovativen. 

Die Psalmen der hebräischen Bibel sind Lieder, die ganz Unterschiedliches thematisieren – wie unsere zeitgenössischen Songs in den Charts auch.

Da singen Menschen vor Freude und Dankbarkeit – aber auch klagend und verzweifelt …
Ich darf einstimmen in Worte und Stimmungen, die andere schon vor langer Zeit gefunden und gefühlt haben. Die Entdeckung machen: Manches von dem, was ich denke und fühle angesichts meiner Lebenssituation, das haben andere ähnlich erlebt – und sie haben Worte und einen Klangraum dafür gefunden, in dem ich mich einfinden kann mit allem, was mich bewegt.

Kantate! Sing(t)!

Möge diese Aufforderung ermutigen, auszuprobieren was geht. Was uns gut tut. Gesang im Herzen. Lieder im Kopf. Melodien leise gesummt. Hier oder dort. Ein Klang in Gottes Ohr, der mich trägt und belebt.

Amen.

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
Die Töne, den Klang hast du mir gegeben
von Wachsen und Werden, von Himmel und Erde,
du Quelle des Lebens, dir sing ich mein Lied.

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
Den Rhythmus, den Schwung hast du mir gegeben
von deiner Geschichte, in die du uns mitnimmst,
du Hüter des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

Ich sing dir mein Lied, in Ihm klingt mein Leben.
Die Tonart, den Takt hast du mir gegeben
von Nähe, die heil macht – wir können dich finden,
du Wunder des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
Die Höhen, die Tiefen hast du mir gegeben.
Du hältst uns zusammen trotz Streit und Verletzung,
du Freundin des Lebens. Dir sing ich mein Lied.

Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben.
Die Töne den Klang hast du mir gegeben
von Zeichen der Hoffnung auf steinigen Wegen
du Zukunft des Lebens. Dir sing ich mein Lied. 

Originaltext (nach Psalm 96/98) aus Brasilien.
Deutsch: Fritz Baltruweit, Barbara Hustedt 1994

"Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben" von der Orgel der Matthäuskirche

aus Psalm 98

Ein Lied.
Singt dem HERRN ein neues Lied!
Er hat Wunder für uns vollbracht:
Auf ihn ist Verlass!
Er hat sein Versprechen eingelöst
und hat Israel Güte und Treue erwiesen.
Bis ans Ende der Erde ist es nun bekannt,
dass unser Gott uns befreit hat.
Jubelt dem HERRN zu,
ihr Bewohner der Erde!
Jauchzt vor Freude, preist ihn mit Gesang!
Singt ihm Lieder zur Harfe,
lasst den Lobpreis ertönen zum Saitenspiel!
Lasst Trompeten und Hörner* erschallen,
jauchzt vor dem HERRN,
dem Herrscher der Welt!
Das Meer soll brausen
mit allem, was darin lebt;
die Erde soll jubeln
mit allen, die darauf wohnen;
die Ströme sollen in die Hände klatschen
und alle Berge vor Freude singen!
Denn der HERR kommt;
er kommt und sorgt für Recht auf der Erde.
Er regiert die Völker in allen Ländern
als gerechter, unparteiischer Richter.

Übersetzung: Basisbibel

Online-Chorprojekt unserer Westfälischen Kirche zum Sonntag Kantate "Singet dem Herrn ein neues Lied"

Heinrich Schütz: "Singet dem Herrn ein neues Lied" - Online Chorprojekt mit Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern der EKvW sowie Chormitgliedern aus dem Chorverband in der EkvW zum Sonntag Kantate am 10. Mai 2020. Per "Klick" auf das Bild können Sie das Video anschauen.

zu den Impulsen der anderen Sonn- und Feiertage