Eine Frage der Perspektive

Ein Impuls von Pfarrerin Stefani Haferung zum 30. Mai 2021 Trinitatis

 

Liebe Gemeinde,

stellen Sie sich ein Glas mit Wasser vor. Nicht ganz gefüllt, allerdings. Nur zur Hälfte. Was würden Sie sagen? Ist das Glas halb voll? Oder halb leer?---

Sagen wir einmal:  Alle drei Minuten wird in Deutschland in eine Wohnung eingebrochen. Schrecklich, aber so ist das mit der Statistik. Es bedeutet auch, dass wir als einzelner Mensch alle 250 Jahre einen Wohnungseinbruch erleben.

Welche Sicht ist uns lieber?

Die, die uns Angst macht, oder die, die uns beruhigt beides ist wahr. Beides schaut auf unterschiedliche Weise auf eine Tatsache. Es gibt Wohnungseinbrüche in Deutschland.

Darüber ließe sich jetzt trefflich streiten. Es kommt wohl auf die Perspektive an.

Der Text oben aus dem Epheserbrief ist quasi ein einziger langer Satz, der voll des Lobes ist: viermal fällt dieses Wort.

Der Autor des Epheserbriefes erzählt uns wie Gott handelt an uns Menschen: Gott segnet und erwählt – und zwar nicht, wenn oder weil wir alles richtig machen, sondern von vornherein. Gott erwählt uns und bestimmt uns vorher, seine Kinder zu sein (V5). Gott schenkt uns Gnade (V 6), erlöst und vergibt uns (V 7).

Wenn Gott uns Menschen sieht, so sieht er das Glas offenbar halb voll – und er selbst schenkt es uns übervoll ein.

Gott teilt uns mit, was eigentlich ein Geheimnis ist: dass in Christus alle Menschen eins werden. (V 10).

In Christus sind wir denn auch Erben in Gottes Reich geworden. Der Heilige Geist, durch den sich Gott und Christus uns mitteilt – er ist das Siegel darauf, dass diese Zusagen gültig sind und bleiben.

Wenn ich Sie jetzt verloren habe, dann liegt das an diesem Text, der so verschachtelt ist, so vollgestopft mit Ideen.

Es sind zu viele Details.

Ein Strauß vollen Düfte und Blumen.

Dieser Strauß heißt dann: Gott liebt uns. Wir sind Gottes Kinder. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zerreißt nicht, selbst wenn man sich entfremden sollte, sich aus den Augen verlieren oder nichts mehr voneinander wissen sollte. Man bleibt immer Vater oder Mutter, man bleibt immer Kind.

Doch das heißt nicht, dass sich die Beziehung zwischen Eltern und Kindern nicht verändert. Das tut sie im Laufe des Lebens. So auch bei uns und Gott. Als Kind sehen wir Gott anders als als Erwachsene. Der Vater, der alles kann und weiß – irgendwann wachsen wir da heraus. Die Mutter, die so wunderbar jeden Schmerz wegpusten kann, irgendwann wirkt das nicht mehr. Doch dafür können wir jetzt genauer um Rat fragen– den wir dann befolgen – oder auch nicht. Wir können uns über eine Erfahrung berichten lassen – und daraus unsere eigenen Schlüsse ziehen – oder auch nicht.

Wir werden unabhängiger – doch die Verbindung bleibt, auch wenn sie sich verändert.

So ist es auch mit Gott. Wir sind Gottes Kinder. Gott ist Vater – und Mutter.

Gott begegnet uns als Schöpfer. Wenn ich durch den Wald gehe, durch die Felder fahre, über einen Gartenzaun schauen, gehen mir die Augen auf für die Vielfalt der Schöpfung – gestaltet von Menschenhand. Und ich erahne dahinter die Kraft und Vielfalt dessen, der dies geschaffen hat.

Gott begegnet uns in Jesus. Als Mensch, der uns auf Augenhöhe entgegentritt. Der erlebt, was wir auch erleben: Freundschaft und Verrat; Liebe und Ablehnung; In-Frage-gestellt werden, vor Entscheidungen stehen. Angst und Verzweiflung und Vertrauen. Leiden und Tod – und Gottes Liebe und Treue, die den Tod überwindet. Gott liebt mich und lässt mich nicht allein, selbst wenn es manchmal den Anschein hat.

Und Gott begegnet uns im Heiligen Geist. Der uns tröstet und mahnt. Der uns begeistert, dass wir uns hinterher manchmal fragen: Wo kam das denn her? Der Mut? Die Idee? Die Beharrlichkeit?

Deshalb stimmt der Epheserbrief gleich zu Beginn dieses Lob auf Gott an. Gott, der uns begegnet als der Schöpfer und Vater, als Jesus Christus und als der Heilige Geist. 

Der Blick auf Gott, er führt ins Lob.  

Es ist vielleicht wie beim Handarbeiten: Konzentriert blicke ich auf mein Werkstück, überlege den nächsten Handgriff, führe ihn vorsichtig aus. So geht es fort und fort. Bis mir die Arbeit unter den Augen verschwimmt. Jetzt könnte ich die Augen zusammenkneifen, um weiterzumachen.

Oder ich kann den Blick heben, aus dem Fenster schauen auf den Waldrand, wo die Blätter der Bäume im Wind fächeln, Vögel fliegen. Wo der Regen fällt wie ein feiner Schleier. Und ich staune und freue mich. Und lobe Gott. Nicht weil ich es tun muss. Nicht weil Gott es braucht. Sondern, weil ich es brauche. Weil es mir guttut.

Eine Frage der Perspektive. Amen

© Unsplash / Jude Beck

Aus dem Epheserbrief

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus,

der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.

4Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war,

dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe;

5er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus

nach dem Wohlgefallen seines Willens,

6zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. 7In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade,

8die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit.

9Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens

nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte,

11In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden,

die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt,

nach dem Ratschluss seines Willens,

12damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben.

13In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung –

in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist,

14welcher ist das Unterpfand unsres Erbes,

zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.