Von den Taten deiner Huld will ich singen… Psalm 89

Ein Impuls von Pfarrerin Stefani Haferung zum 2. Sonntag nach Ostern 18.04.2021

Liebe Herde,

ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen Anrede gefällt. Wer sieht sich schon gerne als Schaf oder als Hammel. Mir wäre dabei wohl ziemlich unbehaglich.

Wenn ich unterwegs eine Schafherde sehe, dann ist das für mich immer ein etwas romantisch, verklärtes Bild. Der Schäfer, oder Hirte, der sich um seine Herde kümmert. Mir fällt dazu fast automatisch das Bild vom guten Hirten ein, der seine Schafe weidet auf der grünen Aue. Und ich erinnere mich an Jesu Wort vom guten Hirten, der das Verlorene sucht und zurückbringt.

Vielleicht fällt ihnen ja auch ein, dass Pfarrer Schulze in dieser seltsamen Zeit „Hirtenbriefe“ schreibt. Obwohl wir diese Überschrift hauptsächlich aus der katholischen Kirche kennen, wissen wir doch, was gemeint ist. Denn das Wort „Pastor“ geht zurück auf den Begriff des Hirten. Einer also, der sich um seine Gemeinde kümmert.

Im übertragenen Sinn, wenn ich als Schaf angesprochen werde, dann habe ich damit schon meine Schwierigkeiten. Denn unter einer Herde verstehe ich erst einmal Schafe, die völlig unselbstständig sind, die ständig Schutz brauchen und zu blöd sind, ihren Weg zu finden. Wer möchte schon immer mit der Herde mitlaufen in einer Zeit, in der doch Selbstbestimmung das A und O des Lebens ist. 

Wir wollen selbstverantwortet leben, uns nichts sagen lassen, unseren eigenen Weg gehen. Wer braucht da einen Hirten?

 Zur Zeit des Ezechiel sah das schon anders aus. Der Hirte war ein Leitbild für Verantwortung und Fürsorge. Er lebte und arbeitete unter unwirklichen Bedingungen bei Wind und Wetter. Ihm war eine Herde von dem Besitzer anvertraut. Er musste kranke Tiere heilen, Verwundete versorgen, damit sie mit der Herde mithalten konnten. Er musste die Herde zusammenhalten und vor Gefahr beschützen.

Er übte einen sehr schwierigen und körperlich anstrengenden Beruf aus. Er war dem Eigentümer der Herde Rechensaft schuldig. Und wenn er nicht sorgfältig genug war oder gar ein Schaf fehlte, dann hatte er mit Konsequenzen zu rechnen.

Und auf der anderen Seite waren die Schafe auf einen guten Hirten angewiesen.

Und dieses Bild nun nimmt Hesekiel auf. Er benutzt das Bild des guten Hirten für all diejenigen, die Verantwortung für andere übernehmen. Die Oberschicht in Jerusalem, aber auch die Priester, die durch ihren Dienst Gott und den Menschen dienen sollen und sich für die Schwachen und Unterdrückten einsetzen sollen.

 

Die Oberschicht der Bevölkerung Judäas von den Babyloniern war ins sog, Babylonische Exil geschickt worden. Auch Hesekiel befand sich als Prophet unter ihnen. Einige Jahre später zerstörten die Babylonier Jerusalem und den Tempel. Bisher konnten die Deportierten immer noch von ihrer Heimat, von ihrem Tempel träumen. Das gab ihnen Trost in der Fremde. Aber das war nun dem Erdboden gleich gemacht. Entwurzelt im babylonischen Exil, versuchten sich die Deportierten ihrer Geschichte zu stellen. Sie fragten, wie sie diese Katastrophe erklären könnten. Einige hielten trotz großer Zweifel in dieser schlimmen Zeit an Gott fest und blieben offen für sein Wort. Einer von diesen war nun Hesekiel. In einer Zeit, in der kein Weg mehr zu sehen war, entstehen in Hesekiels Verkündigung einprägsame Bilder die Klärung bringen, aber auch Hoffnung auf einen neuen Anfang.

Zunächst versucht er zu erklären, dass die Babylonier nicht wie flammendes Feuer vom Himmel gefallen sind, sondern dass erst die Misswirtschaft im eigenen Land und die Ausbeutung der Menschen das Land so geschwächt hat, dass es dem Angriff von außen nicht standhalten konnte. Sozialkritik und Kritik am gesellschaftlichen Miteinander übt Hesekiel. Er bemängelt, dass die Führenden Leute sich auf Kosten des einfachen Volkes bereichern. Ihr esst das Fett und kleidet euch mit Wolle und schlachtet das Gemästete. Aber ihr wollt euch nicht um meine Schafe kümmern. Ihr lasst es euch gut gehen, aber ihr tut nicht eure Pflicht, indem ihr für eure Herde sorgt. Ihr schützt die Schwachen nicht, ihr heilt die Verwundeten nicht, ihr geht den Verirrten nicht nach. Es ist keine Orientierung da. Meine Schafe wissen nicht wohin.

Da sind klare Worte, die Hesekiel findet, und die uns mächtig vertraut vorkommen in einer Gesellschaft, in der die Reichen reicher werden und die Armen ärmer.

In der wir von einer Reform zur nächsten Hetzen und uns die Politiker in unserem Land kopflos vorkommen und mit blindem Aktivismus geschlagen.

 Diese Hirten klagt Hesekiel an, er überführt sie und sie werden gefeuert von Gott: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern. Ich will ein Ende machen. Sie sollen keine Hirten mehr sein.

Ich selbst will mich meiner Herde annehmen und sie suchen.

„Gott sei Dank“ könnte man da aufatmen. Der tut etwas, dieser Gott. Er redet nicht nur, er schaut nicht weg über die Missstände. Er handelt. Ein starker Gott. Ein starker Hirte. 

Wie schön wäre das doch. Der Eigentümer kommt selbst und klagt all die an, die ihre Verantwortung missbrauchen. Nicht nur gegenüber Schafen, sondern auch gegenüber Menschen.

Politiker, Arbeitgeber, Lehrer, Eltern, die ihnen anvertraute Menschen so selbstherrlich behandeln, als wären sie ihr Eigentum. Gott kommt und setzt menschenverachtenden Regimen ein Ende. Er setzt verantwortungslose Politiker und Unternehmer ab. Er feuert egoistische, rücksichtslose Lehrer und Eltern, befreit Kinder aus verantwortungsloser Willkür und Demütigung und rettet aus Beziehungen, in denen der eine den anderen für seine Interessen ausnutzt und missbraucht.

Ich will meine Schafe retten aus ihren Rachen, dass sie nicht mehr fressen sollen.

Der Gott Israels, sondern macht sich selbst auf den Weg, um das Verlorene zu suchen, zu finden und zurückzubringen, zu verbinden, zu stärken, zu heilen. Ein Gott, der die Wunden kennt und den Finger in die Wunde legt.  Ein Gott, der die Seinen kennt und weiß, was sie nötig haben.

Der gute Hirte. Mein Herr.

Das ist ein Gott für die heile Welt. Ein Märchengott.  Ein Gott, der gleichsam auf Knopfdruck erscheint und alles zurechtrückt.

Viel tausend Jahre haben Menschen auf solche einen Gott gewartet, auf sein Wunderwirken. Bis heute sind sie enttäuscht worden. Bis heute wenden sich deshalb immer wieder Menschen von ihm ab.

 Aber solch einen Gott hat Hesekiel nicht verkündet.

Er stellt den guten Hirten als leuchtendes Beispiel eines gelingenden Miteinanders vor. So kann es gehen! Gott selbst kommt und lebt es uns vor.

Er ist ja auch damals nicht senkrecht von oben gekommen und hat die Deportierten im Handumdrehen von ihrem Schicksal befreit. Es war ein Prozess, der in Gang kam und wie alle Prozesse, veränderte sich die Geschichte nicht von heute auf Morgen. Es kam zu Veränderungen in den politischen Konstellationen. Es kam zu Einsichten, die das Handeln allmählich verändert haben.

Gott war und ist kein biblischer Feldherr. Er war und ist ein Hirte Gott- Er geht mit den Menschen ihre dunklen und schmutzigen und raue Wege. Aber er geht mit. Er lässt sie da nicht allein. Er geht voran, um den rechten Weg zu weisen, oder er geht dem Verlorenen nach. Aber er ist dabei.

 Er lässt seine Menschen selbst gehen. Und das weckt Vertrauen in den guten Hirten. Und dieses Vertrauen in den, der mit mir geht, das ermöglicht auch mir, mein Verhalten kritisch zu hinterfragen. Wo muss ich Verantwortung übernehmen?

Die Rede Jesu aus dem Matthäusevangelium fällt mir dazu ein. Wo Jesus sagt. Ich bin hungrig und durstig gewesen, und ihr habt mir zu essen und zu trinken gegeben. Ich war nackt, ihr habt mich gekleidet, ich war krank und im Gefängnis, ihr habt mich besucht. Ich war ein Fremder und ihr habt mich aufgenommen.

Es ist eine Ermutigung für uns, wachsam zu bleiben, empfindsam zu werden und zu bleiben für die, die missachtet, verloren sind. Einzugreifen und zu widerstehen überall dort, wo rücksichtsloses und egoistisches Denken und Handeln Vorrang hat.

Das ist oft mühselig, mit Arbeit und Auseinandersetzung verbunden. Und sicherlich kommen wir da an eigenen Grenzen-

 Aber Gott sei Dank hat mein begrenztes Wirken als Vorgesetzter, als Lehrerin, als Mutter oder Vater, als Politikerin, als Partner oder Partnerin, als Schülerin oder Schüler nicht das letzte Wort. Das lässt Gott nicht zu.

Gott kennt und sieht die Seinen mit ihren Stärken und Schwächen und er lässt uns damit nicht allein.

Das entlastet und ermutigt mich, immer wieder selbst zu prüfen, zu hinterfragen, zu verändern, um rücksichtsvoll und verantwortungsvoll da zu sein – für andere.

Amen

Psalm 23

1Der Herr ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

2Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führet mich zum frischen Wasser.

3Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

5Du bereitest vor mir einen Tisch

im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

Und schenkest mir voll ein.

6Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

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Das Buch Ezechiel 34, 1–2.  10–16.31

1 Da erreichte mich das Wort der Lebendigen: 2 Mensch, rede prophetisch über die Hirtinnen und Hirten Israels, rede prophetisch und sprich zu ihnen, denen die Herde anvertraut ist: So spricht die Lebendige, mächtig über allen: Wehe den Hirtinnen und Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen Hirtinnen und Hirten nicht die Herde weiden?

10 So spricht die Lebendige, mächtig über allen: Jetzt gehe ich gegen die Hirtinnen und Hirten vor! Ich fordere meine Herde aus ihrer Hand zurück, ich mache ihrem Hüten meiner Herde ein Ende. Die für die Herde verantwortlich sind, sollen sich nicht länger selbst weiden. Ich rette meine Herde aus ihrem Rachen, sie soll ihnen nicht länger zum Fraß werden.
11 Ja, so spricht die Lebendige, mächtig über allen: Seht her, ich bin da und frage nach meiner Herde und gebe auf sie Acht. 12 Wie jeder Hirte und jede Hirtin auf die eigene Herde Acht gibt, wenn sie bei den sich lagernden Tieren sind, so will ich auf meine Herde Acht geben: Ich berge sie von allen Orten, an die sie sich zerstreut hat am Tag der Wolken und der Dunkelheit. 13 Ich führe sie aus den Völkern heraus und sammle sie ein aus den Ländern. Ich bringe sie in ihr Land. Ich weide sie auf den Bergen Israels, an den Wasserläufen und allen Wohnorten des Landes. 14 Auf guter Weide werde ich sie weiden, und auf den hohen Bergen Israels wird ihr Weideland sein. Dort werden sie lagern auf gutem Weideland, fette Weide werden sie finden auf Israels Bergen. 15 Ich selbst werde meine Herde weiden, ich selbst werde sie sich lagern lassen – Ausspruch der Lebendigen, mächtig über allen. 16 Die Verlorenen werde ich suchen, die sich verirrt haben, werde ich zurückbringen, die Gebrochenen werde ich stützen, und die Schwachen werde ich stärken. Den Fetten und Starken aber werde ich Einhalt gebieten – ich werde sie weiden, wie es dem Recht entspricht.

 31 Ihr seid meine Herde, Herde meiner Weide, Menschheit seid ihr, und ich bin Gott, für euch da – Ausspruch des Lebendigen, mächtig über allen.