Ein Impuls von Pfarrerin Ulrike Menzel

K A R F R E I T A G S G E D A N K E N    2 0 2 1

 

Düstere Stimmung, Verlassenheit, Abstand, Not und Tod.
Selten war die Botschaft von Jesu Tod so aktuell.
            „Und sie kreuzigten ihn. ... und es kam eine Finsternis über das ganze Land.“

Auch wenn zurzeit die Sonne so schön scheint, es sind finstere, es sind bittere Zeiten für so viele.
              „Und er rief laut:  Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Die tiefe Verlassenheit und Einsamkeit vieler Menschen war und ist kaum zu ertragen. Gemeindeglieder haben im vergangenen Jahr manchmal tagelang oder gar wochenlang nicht ihren
schwerstkranken oder gar sterbenden Angehören beistehen können. Die einen liegen allein im Krankenhaus, die andern sorgen sich allein zu Hause, und nichts geht mehr.

Beistand, den wünschen wir uns doch,
wenn es uns schlecht geht,
wenn wir uns große Sorgen machen,
wenn alles zusammenzubrechen scheint,
wenn die Zukunft wie eine dunkle schwarze Mauer vor uns steht und das Weiterleben verbaut.

Beistand wünschen wir uns,
dass jemand bei uns ist und bei uns bleibt,
wenn fast alle gehen, weil sie das Elend nicht mehr aushalten,
weil sie selbst Angst oder keine Kraft mehr haben.

Stattdessen wurde der Beistand hier und da abgeschafft, weil er gefährlich ist.
Es war und ist fürchterlich.
So viele Menschen starben und sterben immer noch allein,
liegen abgeschirmt, fern ab von anderen.
Und viele Angehörige weinten und weinen immer noch allein,
trauern abgeschirmt, fern ab der Welt der anderen.

Und Jesus schrie laut und verschied. Es waren Frauen da, die von ferne zuschauten.
Der Hauptmann aber, der dabeistand, sprach:
Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.

Die einen stehen von ferne, halten Abstand, fühlen sich hilflos,
wissen nicht vor und zurück und bleiben starr.

Und einer, ja einer steht doch tatsächlich nahe bei dem Kreuz.
Gar kein Freund. Gar kein Angehöriger. Dieser Hauptmann.
Ein Mann, dem das Sterben Jesu nahe und zu Herzen geht.
Ein Mann, der die Sprache wiederfindet und Menschlichkeit und Glauben zeigt.
                 „Dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen“

Er sieht Jesus als Menschen,
nicht als einen von den vielen, die halt sterben.
Nicht so, dass er auf Distanz zu diesem Tod geht,
weil es ja doch nur ein Tod mehr ist, den er erlebt.
Nein, er sieht das einzelne Leid, Jesus Qual und Jesu Sterben und Jesu Gottverlassenheit.
Das lässt ihn nicht kalt und rührt ihn an.
Was er miterlebt, weckt die Frage nach Gott
und lässt ihn sogar eine Antwort finden:
Dieser Mensch Jesus, der gerade noch gelebt hat und nun unter Qualen gestorben ist,
war und ist Gott nahe, war und ist Gottes Sohn.

Jesu Tod erhält eine Deutung.
Der Tote war und ist ein Kind Gottes, ein von Gott geliebter und angenommener Mensch mit seiner ganzen Geschichte.
Und der Hauptmann ahnt, ein ganz besonders Kind, ein ganz besonderer Mensch,
der, durch den auf einzigartige Weise Gott da und nah ist,
gerade auch Jesus selbst nahe ist, auch wenn dieser sich verlassen fühlt.

So kommt Gott auch dem Hauptmann nahe.
Er spürt Gottes Beistand in einer fürchterlichen Situation.
Gott ist da auf Golgatha.
Und wenn es nur ein kleiner Funke der Hoffnung ist.
Der Glaube an der Gekreuzigten,
lässt die Sprache wiederfinden,
öffnet einen Spalt weit die Tür,
sieht ein Licht trotz Dunkelheit, Not und Tod.

Das ist der Trost auch jetzt,
wo viele nicht mehr weiterwissen,
wo wir unser Kreuz zu tragen haben,
wo wir in unserer Welt der Machbarkeit an eine große Grenze geraten,
wo wir merken, dass wir verwundbar, ja dass wir sterblich sind.
Die Mauer des Todes vor Augen öffnet sich im Glauben an Jesus Christus
der Blick, der weitergeht, der weiter hofft.
Und wenn es andere nicht können,
nicht an Gott glauben können,
auch nicht überredet werden wollen,
keine Glaubenssätze brauchen, die man für wahr halten soll,
ist es für sie ein sehr tröstliches Zeichen,
dass es Menschen gibt, die dableiben und dabeistehen,
Menschen, die mit aushalten.

Dann, wenn nichts mehr geht, und alles am Ende zu sein scheint,
einen Funken Hoffnung haben,
einen Funken Hoffnung schenken,
das ist schon der Anfang des Weges von Karfreitag Richtung Ostern.
Amen.

ein Passionslied

1. Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken,
mich in das Meer der Liebe zu versenken,
die dich bewog, von aller Schuld des Bösen
uns zu erlösen.

2. Vereint mit Gott, ein Mensch gleich uns auf Erden
und bis zum Tod am Kreuz gehorsam werden,
an unsrer Statt gemartert und zerschlagen,
die Sünde tragen:

3. welch wundervoll hochheiliges Geschäfte!
Sinn ich ihm nach, so zagen meine Kräfte,
mein Herz erbebt; ich seh und ich empfinde
den Fluch der Sünde.


5. Seh ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden
ein Ärgernis und eine Torheit werden:
so sei's doch mir, trotz allen frechen Spottes,
die Weisheit Gottes.

 

Text: Fürchtegott Gellert,
Lied Nr 91 aus dem Gesangbuch

 

Christus,

dein Kreuz spricht zu uns und zur Welt.

Als du für uns starbst,

nahmst du auf dich all unsere Schmerzen und Wunden.

Die Arme deines Kreuzes

sind ausgestreckt für unsere zerbrochene Welt.

Du hast Frieden mit uns geschlossen.

Wenn wir auf deinen Wegen gehen, halten wir Frieden mit dir.

Hilf uns dazu.

Lass uns deinen störenden und aufrüttelnden Geist erkennen,

dass wir Sorge tragen für alle, die leiden.

Christus, wir seufzen.

Befreie uns. Mach uns ganz.

In Anlehnung an ein Gebet der Iona-Kommunintät, Schottland

6. Ich will hier bei dir stehen,
Verachte mich doch nicht!
Von dir will ich nicht gehen,
Wenn dir dein Herze bricht;
Wenn dein Haupt wird erblassen
Im letzten Todesstoß,
Alsdann will ich dich fassen
In meinen Arm und Schoß.
 

9. Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir;
Wenn ich den Tod soll leiden,
So tritt du dann herfür;
Wenn mir am allerbängsten
Wird um das Herze sein,
So reiß mich aus den Ängsten
Kraft deiner Angst und Pein!

 

Aus dem Gesangbuchlied Nr 85: O Haupt voll Blut und Wunden
Text: Paul Gerhardt

JESU KREUZIGUNG UND TOD
Markus 15

24 Und sie kreuzigten ihn. Und sie teilten seine Kleider und warfen das Los darum, wer was bekommen sollte. 25Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. …

33 Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 34 Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

35 Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. 36 Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme!

37 Aber Jesus schrie laut und verschied.
38 Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 39 Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: 

Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!

40 Und es waren auch Frauen da, die von ferne zuschauten.

Bilder auf dieser Seite:

Liegendes Kreuz in der Matthäuskirche: Foto Harald Lange 
Bildausschnitt mittleres Apsisfenster in der Matthäuskirche, Paul Thol, 1953