Entdeckungen

Ein Impuls zum  Sonntag Judika, dem 21. März 2021 von Pfarrerin Ursula Borchert

Ich mag biblischen Verse, die uns im Alltag, im Beruf, in dem was wir tun oder auch lassen immer wieder durch die Gedanken ziehen.  Manchmal machen sie uns das Nachdenken, das Auf-sie-einlassen einfach. Ein anderes Mal sind sie – zugegebenermaßen – alles andere als eine leichte Kost. Wieder ein anderes Mal lassen sie uns die eine oder andere Entdeckung machen.

Die Angabe eines Gedankens aus dem Johannesevangelium hat mich aufmerken lassen. Da ist das 3. Kapitel benannt, dann ein Halbvers und ein zweiter Vers. „Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“, so ist zu lesen ab Vers 14b. Was aber steht denn wohl in 14a?

Meine Neugierde ist groß, ich schlage nach – und bin erstaunt: Da ist von Mose und einer ehernen Schlange die Rede.

Dann habe ich sie vor Augen, diese Schlange um einen Pfahl gewickelt und von Mose aufgestellt. In einem der Fensterbilder in unserer Matthäuskirche ist sie zu sehen, so wie der Künstler sie sich vorgestellt hat.

Mit ihr verbindet sich eine Geschichte aus dem 4. Buch Mose. Dieser aus Kupfer oder Bronze gestaltete Schlange, die Mose an einem Pfahl in der Wüste aufgestellt hat, kommt eine lebenserhaltende Bedeutung zu.

Leider kann man in dem Fenster nicht mehr lesen, welcher Vers aus der Geschichte darunter seinen Platz gefunden hat – von der Schrift ist nichts mehr zu entziffern. 

Was mag die Idee gewesen sein – gerade diese seltsam anmutende Geschichte in den biblischen Fensterzyklus mit aufzunehmen? Als eine Geschichte, die gemeinsam mit der Geschichte des Kampfes Jakobs um den Segen Gottes, der Rettung des Moses, der Heilung des Feldherrn Naemann und der Geschichte des Daniel in der Löwengrube dort erzählt wird.

Etwas, das man in allen Geschichten entdecken kann ist dies:  Es geht immer um Maßnahmen, die lebensfähig und überlebensfähig machen -  in ihren je ganz eigenen Bezügen.

Diese Geschichte wird zu einer Zeit erzählt, als das Volk Israel schon einen mühseligen Weg hinter sich gebracht hatte: 40 Jahre Wüstenwanderung gehen zu Ende, mit Vorwärtskommen und Zurückgeworfen werden, mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen miteinander und mit Gott.

Gemurrt haben sie dabei mehr als einmal. Das „früher war alles viel besser“  kam ihnen auch oft über die Lippen. Der Weg ins gelobte Land war vielen von Anfang an zu schwer, die Erinnerungen an die Fleischtöpfe Ägyptens in der Rückschau mehr als verlockend. So klagen sie und murren, manches Mal ohne Grund, denn für das Lebensnotwendige ist gesorgt – mal klagen sie über das, was sie zum Leben haben, oder was sie nicht haben. Überzogene Erwartungen wechseln sich ab mit dem Wunsch nach Unabhängigkeit.

Mose hat es mit ihnen nicht leicht gehabt, als einer, den sie immer wieder für das verantwortlich gemacht haben, was ihnen gerade widerfuhr. Sie suchen in Mose den Vater, der ihre Schwierigkeiten aus dem Weg räumen soll. Aber Mose kann und will diese Rolle für sie nicht übernehmen. Er kann sie nicht bewahren vor all dem, was das Leben an Gefahren mit sich bringt, was es an Unsicherheiten in sich birgt. Also klagen sie weiter und sprechen Mose auch unverblümt ihr Misstrauen aus: Wir suchen einen, der uns dahin zurückbringt, wo wir schon einmal waren, wo wir uns auskennen.  

So wie sie gegen Mose murren, murren sie auch gegen Gott.  Er lässt sie weiter durch die Wüste wandern, weil sich nur so ihre Sichtweise ändern kann, weil Veränderungen Zeit brauchen – manchmal sehr lange, weil nur im Gehen sich Perspektiven verändern, Schritt für Schritt. Und manchmal schmerzt das auch sehr, nicht so schnell an sein Ziel zu gelangen wie man es gerngehabt hätte. Es schmerzt, immer wieder Rückschritte und Rückschläge zu erleben.

Was Mose erlebt ist nur allzu menschlich. Sie brauchen einen, der Schuld ist. Sie klagen und murren. Leben und Zusammenleben sind geprägt von Missgunst, Unzufriedenheit, Machtkämpfen, Vorurteile blühen und gedeihen. Wie giftige Schlangen beißen sie die Menschen, die an den Folgen der Vergiftung sterben.

Ein letztes Mal fordert das Volk von Mose, er möge die Zeit zurückdrehen, zurück in die trügerische Sicherheit Ägyptens, zurück in die vermeintliche Geborgenheit der Kindheit. „Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme“, - als hätte es jemals eine Zeit ohne diese Schlangen der Bedrohung gegeben. Was die Menschen hier wünschen, ist nichts weniger als in einen paradiesischen Zustand zurück versetzt zu werden.

Das aber kann nicht das gelobte Land sein, das auf sie wartet, und so wird ihr Wunsch nicht Erfüllung gehen. Niemand wird bewahrt, von all dem, was das Leben bedroht, berührt zu werden.

Vielmehr geschieht etwas Anderes: Mose soll eine eherne Schlange aufrichten – als ein Symbol, das immer an die Bedrohung erinnert – und wer darauf schaut, der wird leben – so wird es versprochen und so geschieht es. Lebensfähig wird man, wenn man dem Bedrohlichen ins Auge zu schaut. Handlungsfähigkeit erlangt man durch die Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Es gibt keine Zeit, in der man nicht verletzbar wäre. Es gibt keinen Ort, an dem man nicht von Bedrohung berührt und getroffen werden kann. Es besteht immer und überall die Möglichkeit von solchen giftigen Schlangen gebissen zu werden. Es gibt keine Chance sich dagegen zu wappnen, von diesem Gift nicht auch weiterzugeben.

Aber das zu erkennen und anzuerkennen, das hilft zum Leben. Wenn wir dem, was das Leben bedroht und manchmal so schwer macht, ins Auge sehen können, wenn wir vor dem, was Menschen erleben und erleiden, was sie einander zufügen, nicht die Augen verschließen, dann können wir mit dem, was wir denken, sagen und tun, dem ein Stückchen näherkommen, wie das Leben sein könnte und sein sollte.

Ich denke, dass deshalb auch Jesus Nikodemus von dieser Geschichte des Moses und der ehernen Schlange erzählt hat - wie es bei Johannes zu lesen ist. Ich bin überzeugt, dass es sich lohnt über diese Geschichte auch in Passionszeit, in dieser Zeit des Weges zu Kreuz und Auferstehung, nachzudenken.

Auch dort schauen wir dem Bösen ins Auge, auch dort sehen wir Leid und Schuld von Angesicht zu Angesicht. Auch dort ist zu sehen, was Leben bedroht und zerstört.

Auch dort wird dem Leid und der Schuld nicht ausgewichen, sondern beides auf sich genommen. Ein erster Schritt zum Leben ist damit getan. Welch eine Entdeckung!

Psalm 43

Gott, schaffe mir Recht

und führe meine Sache wider das unheilige Volk

und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

     Denn du bist der Gott meiner Stärke:

     Warum hast du mich verstoßen?

Warum muss ich so traurig gehen,

wenn mein Feind mich dränget?

     Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten

     und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung

dass ich hineingehe zum Altar Gottes,

zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,

und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.

     Was betrübst du dich, meine Seele,

     und bist so unruhig in mir?

Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,

dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Mose und die eherne Schlange - Fenster in de Matthäuskirche Weitmar

Jesus und Nikodemus

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann dies geschehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn.

Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.  Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Johannes 3, Vers 1 bis 21