Herzliche Einladung zur Offenen Matthäuskirche am Sonntag, 14. Februar, von 10.30 bis 11.30 Uhr

Brich mit den Hungrigen dein Brot ...

Ein Impuls von Pfarrerin Ulrike Menzel
zum 14. Februar 2021

„Brich mit den Hungrigen dein Brot,
sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied,
teil mit den Einsamen dein Haus.“

 

Dieses Lied aus dem Gesangbuch mit der Nummer 420 wäre heute wahrscheinlich im Gottesdienst gesungen worden.
Wäre…. Aber alles ist ja anders – schon lange. Es findet kein Gottesdienst statt, dafür können Sie hier einige Zeilen lesen, sich im Internet das Lied Nr. 420 auch anhören.

Es irritiert, das Lied. Warum?

Weil die Zeilen wie aus einer fernen Welt stammen und sich bei der Vorstellung dessen, was hier besungen wird, ähnliche Gefühle breitmachen wie dann, wenn sich in einem Fernsehfilm Menschen die Hand geben oder umarmen.

„Brich mit den Hungrigen dein Brot.“
Ok, aber dann mit desinfizierten Händen oder mit Spuckschutz dazwischen – am besten gar nicht, denn es ist ja Corona.

„Sprich mit den Sprachlosen ein Wort.“
Ok, aber dann mit Abstand und Mundschutz. Am liebsten eigentlich nur am Telefon oder per Skype, denn es ist ja Corona.

„Sing mit den Traurigen ein Lied.“
Ok, aber das geht nur mit Riesenabstand oder ich nehme meinen Gesang vielleicht auf und verschicke ihn als Datei.

„Teil mit den Einsamen dein Haus.“
Ok, aber dann darf von denen höchstens einer zu mir kommen, mehr geht leider nicht. Und nicht zu lange. Und so richtig bei mir wohnen, ist wahrscheinlich nicht erlaubt, denn es ist ja Corona.

Noch mehr irritiert es, wenn wir die Konsequenz dessen andenken.
Ein Unbehagen macht sich breit. Hungrigen kein Brot zu geben; für Menschen, denen es die Sprache verschlagen hat, nicht da zu sein; für Traurige keinen Trost zum Klingen zu bringen oder Einsamen den Zutritt zu verwehren – eigentlich geht das nicht. Das ist gegen das, was wir glauben und leben wollen. Und so machen sich viele Menschen kreative Gedanken und geben sich viele Menschen große Mühe, trotz allem die Leidenden nicht zu vergessen und sie zu erreichen und zu versorgen:
die, die allein in Quarantäne sind und etwas zu essen brauchen;
die, die in ärmeren Ländern kaum eine Versorgung erfahren;
die, die bei dieser Kälte nicht wissen, wo es für sie ein Dach über den Kopf geben kann;
die, die vergessen und allein auf einen Kontakt hoffen.

Und doch bleiben so viele auf der Strecke. Die Coronakrise zu bewältigen und die vielen, vielen Menschen aufzufangen, die an sozialer, psychischer und existentieller Not leiden, ist eine Mammutaufgabe. Wir merken, wie irritierend aktuell dieses Gesangbuchlied also doch ist und damit auch wie aktuell die biblische Botschaft ist. Das Lied geht nämlich auf einige Zeilen aus dem heutigen Predigttext aus Jesaja 58 zurück:

Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! (Vers 7)

Wir hören diese Zeilen am Sonntag vor dem Beginn der Passions- oder auch Fastenzeit.
Wir werden sozusagen auf diese Wochen vorbereitet.

In der Passionszeit bedenken wir stärker als sonst das Leiden Jesu und merken, wie sehr dies dem Leiden vieler Menschen ähnelt. Die Passionszeit weckt daher großes Mitgefühl und ruft auch zur Solidarität mit den Armen und Entrechteten auf. Wenn es nach der Botschaft Jesajas ginge, sollte diese Zeit wahrscheinlich eher eine Zeit diakonischer und sozialer Aktivitäten und weniger eine Zeit der Selbstfindung sein.

Die Fastenzeit wird ja hier und da so gesehen, dass wir in dieser Zeit mal ganz auf uns selbst achten und zu Ruhe kommen, Körper, Geist und Seele bewusst pflegen, entschlacken, weniger machen sollen. Verzicht auf Konsum und Lust soll zu mehr geistlicher Tiefe führen. Fasten als Verzicht.

In diesem Jahr passt das alles irgendwie nicht so richtig, denn das Fasten und Verzichten dauert ja eigentlich schon fast ein Jahr an. Und diese Vorstellung von Fasten als ein Weg, sich und auch Gott näher zu kommen, passt auch nicht zur Fastenvorstellung, die Gott hat und durch die Stimme des Propheten Jesaja  lauthals verkündigt wird. Gott ist richtig sauer darüber, dass so manche durch ihre religiösen Fastenriten regelrecht einfordern, dass Gott sich ihnen zeigen möge.

Denn die gleichen Leute vergessen das Leid ihrer Mitmenschen, sehen nur sich selbst. Das hat sich Gott wohl lange genug angesehen und angehört und fordert Jesaja auf, regelrecht hinaus zu posaunen, dass das so nicht in Gottes Sinne und Gott so auch nicht zu finden sei.

Auf die Frage der Gläubigen: „Gott, wo bist du?  Wir fasten doch. Zeig dich uns.“ fragt Gott zurück: „Ist das etwa ein richtiges Fasten, wenn nach wie vor Unterdrückung und Unrecht geschieht und der Mitmensch aus dem Blick gerät?“
Und Gott lenkt den Blick auf die Elenden, die Unrecht Hunger oder Wohnungslosigkeit erleiden, und erinnert daran, dass jeder in Not geratene Mensch ein Mensch aus Fleisch und Blut wie du und ich ist. Gott fordert also auf, auf den Mitmenschen zu achten, und sagt zum Schluss:  Siehe, hier bin ich.

Die Passionszeit wird dieses Jahr wahrscheinlich intensiver und aktueller erlebt als sonst. Wo Menschen leiden, und sich diesen zugewandt wird, da ist Gott.

das Lied zum Thema

Brich mit den Hungrigen dein Brot,
sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied,
teil mit den Einsamen dein Haus.

Such mit den Fertigen ein Ziel,
brich mit den Hungrigen dein Brot,
sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied.

Teil mit den Einsamen dein Haus,
such mit den Fertigen ein Ziel,
brich mit den Hungrigen dein Brot,
sprich mit den Sprachlosen ein Wort.

Sing mit den Traurigen ein Lied,
teil mit den Einsamen dein Haus,
such mit den Fertigen ein Ziel,
brich mit den Hungrigen dein Brot.

Sprich mit den Sprachlosen ein Wort,
sing mit den Traurigen ein Lied,
teil mit den Einsamen dein Haus,
such mit den Fertigen ein Ziel.

(EG 420)

Jesaja 58

1Rufe laut, halte nicht an dich!
Erhebe deine Stimme wie eine Posaune
und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit
und dem Hause Jakob seine Sünden! 

2Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen,
als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte.
Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei.

 3»Warum fasten wir und du siehst es nicht an?
Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?«

Siehe, an dem Tag, da ihr fastet,
geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 
4Siehe, wenn ihr fastet,
hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein.
Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut,
wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 
5Soll das ein Fasten sein,
an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet?
Wollt ihr das ein Fasten nennen
und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat
?

6Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!
Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 
7Heißt das nicht: 
Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

 

 8Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,
und deine Heilung wird schnell voranschreiten,
und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 
9Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten.
Wenn du schreist, wird er sagen:
Siehe, hier bin ich.