Sehnsucht nach Zuhause

Ein Impuls von Pfarrerin Ursula Borchert
zum 24. Januar 2021

Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,

die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes

(Lukas 13, 29)


„Kann ich mal reinschauen?“ – Die nicht mehr ganz so junge Frau stand mir gegenüber auf dem Platz unter den Rotbuchen vor unserer Kirche. Die Kirchentür stand offen, von drinnen hörte man die Töne der Orgel. „Ich war lange schon nicht mehr hier, wissen Sie. Aber heute …, ich habe eine Freundin besucht und wollte jetzt noch mal die Gelegenheit nutzen, um mich ein wenig umzusehen – hat sich ja doch eine Menge verändert.“


So kamen wir ins Gespräch über unseren Stadtteil, über das was sie als Kind und Jugendliche hier erlebt hat. Erinnerungen an Gebäude, Straßen und Menschen, die ihr damals begegnet sind. Einiges hatte sie so wiederentdeckt wie sie es kannte, einiges hatte sich sehr verändert. Über manches war sie verwundert und enttäuscht, anderes war ungewohnt.


Sie ging durch die geöffnete Tür, bleibe eine Weile hinter der letzten Bankreihe stehen, ging dann noch ein wenig weiter und setzte sich auf einen Platz in der Mitte der Kirche. Sie schaute sich um, blickte nach rechts und links.

„Es sieht schon anders aus als früher, aber die bunten Fenster, die Deckenbemalung über dem Taufbecken, die Kanzel, das ist so wie ich es in Erinnerung habe. Wie schön – all das, was von den Geschichten erzählt, die ich im Kindergottesdienst hier gehört habe, ist noch da.“

Sie erzählt noch ein wenig von sich selbst, von Beruf und Familie, von Bremen und Bremerhaven. Dort lebt sie schon lange.

„Wissen Sie, ich fühle mich da wohl, die Stadt ist schön, als Familie sind wir dort glücklich und haben einen netten Freundeskreis. Und doch sehne ich mich manchmal nach Zuhause.“


Mir geht diese kleine Begegnung nach. Ich kenne diese Sehnsucht nach dem Ort, an dem man aufgewachsen ist, den Menschen, denen man begegnet ist, den kleinen Gewohnheiten, die lieb und wichtig waren, und all die Geschichten, die man gehört und erzählt hat.


Lebensgeschichten, Hoffnungsgeschichten, Sehnsuchtsgeschichten, Heimatgeschichten, Glaubensgeschichten. Manchmal wünsche ich sie mir zurück – die alten Geschichten, manchmal motivieren sie mich, nach vorn zu schauen und eine neue Geschichte zu erleben oder eine alte Geschichte neu zu entdecken. Dann wird aus einer alten Geschichte aus früheren Zeiten eine Geschichte, die in die Zukunft schaut.


Mir geht diese kleine Begegnung nach und ich erinnere mich an eine ganz besondere Familie. In Bronze gegossen erinnert sie als Denkmal am Seebäderkaje in Bremerhaven an die vielen Geschichten, die Kinder und Erwachsene erlebten, die von Bremerhaven aus nach Amerika, Kanada, Brasilien, Argentinien oder Australien ausgewandert sind, oder fliehen mussten. Viele von ihnen hatten ihr ganz persönliches Geschichtenbuch mit dabei. Es erzählte - und erzählt bis heute - von den Menschen aus biblischer Zeit, die aufgebrochen sind oder aufbrechen mussten. Sie brachten ihre eigene Geschichte mit, lebten oft auch fern der Heimat und sehnten sich mehr als einmal dorthin zurück. Manche konnten heimkehren, manchen blieb dies unmöglich.

Ihre Glaubensgeschichten aber trugen sie bei sich und viele bewahrten sie in ihren Herzen.


Der Wochenspruch für die heute neu beginnende Woche ist dabei für manchen von ganz besonderer Bedeutung:


Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden,

die zu Tische sitzen werden im Reich Gottes.

An einem Tisch zu sitzen und Gott als Gastgeber - gemeinsam an einem Tisch zu essen und zu trinken mit Menschen ganz verschieden, fröhlich und zufrieden - was für eine wundervolle Verheißung.


An einem Tisch zu sitzen friedlich und friedvoll, eine bunte vielfältige Gemeinschaft – alle gehören dazu und niemand ist ausgeschlossen – was für ein Geschenk.

Ein einziger Satz, der in uns eine große Sehnsuchtsgeschichte zum Klingen bringt, die Sehnsucht nach Heimat, Zuhause und Gemeinschaft.

Ein einziger Satz, der unsere Sehnsucht stillt und ein Zuhause bei Gott schenkt.


Ich wünsche uns, dass uns diese Sehnsuchtsgeschichte nicht zurück, sondern nach vorn blicken lässt – hinein in die kommende Zeit, aber auch über Zeit und Raum hinaus.

Eine gute und gesegnete Zeit und hoffnungsvolle Geschichten Ihnen und Euch allen!

 

Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott,

nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.

Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück,

nach Liebe, wie nur du sie gibst.


1.Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir.

In Sorge, im Schmerz – sei da, sei uns nahe, Gott.


Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott,

nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.

Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück,

nach Liebe, wie nur du sie gibst.


2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir.

In Ohnmacht, in Furcht – sei da, sei uns nahe, Gott.


Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott,

nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.

Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück,

nach Liebe, wie nur du sie gibst.


3. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir.

In Krankheit, im Tod – sei da, sei uns nahe, Gott.


Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott,

nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.

Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück,

nach Liebe, wie nur du sie gibst.



4. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir.

Wir hoffen auf dich – sei da, sei uns nahe, Gott.


Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott,

nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.

Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück,

nach Liebe, wie nur du sie gibst.


(Text und Liedmelodie: Anne Quigley / deutsch: Eugen Eckert)



Link zum Lied:

https://www.youtube.com/watch?v=cbTQUzQ_ApE


 

Segenswunsch: In Raum und Zeit


Denkbar,

dass in all der Himmelsweite

ein All-Umfassend wohnt.


Und über dem Firmament

einer aufmerkt und wacht.


Und in den Farben der Erde

ein Abglanz sich zeigt.


Ich wünsche dir,

dass du die Spuren lesen kannst,

in denen Gott sich einschreibt

in Raum und Zeit.


(Tina Willms, Höchste Zeit für Barmherzigkeit,

Neukirchener Verlag 2020, S. 41)