Leere und Fülle

Ein Impuls von Pfarrerin Ulrike Menzel
zum 17. Januar 2021

Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.

(Wochenspruch aus Johannes 1,16)

 

Gott, sei mir gnädig.
Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich.
Sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie.
Dass weiß ich, dass du mein Gott bist.
(aus Psalm 56)

Angedacht

Die biblische Geschichte, über die heute normalerweise gepredigt würde, ist die die vom Weinwunder auf der Hochzeit in Kana. Das Hochzeitsfest ist fortgeschritten, neigt sich vielleicht schon dem Ende entgegen, und Maria merkt, dass die Stimmung zu kippen droht und ein Krise naht, und sagt ihrem Sohn Jesus, was sie bemerkt hat: „Sie haben keinen Wein mehr!“

Jesus rettet die Brautleute vor der Blamage, die ganze Hochzeitsgesellschaft nicht bis zum Schluss gastfreundliche bewirten zu können.  Bewahrt auch davor, dass die Braut nicht weint, der Bräutigam nicht direkt als schlechter Versorger dasteht und die Gäste nicht sauer nach Hause gehen. Und wie macht Jesus das? Er bittet die Servicekräfte im Hintergrund nach dem Ausschau zu halten, was da ist. Und die finden in einem Raum hinter der Küche oder irgendwo draußen Krüge mit Wasser. Zum Glück ist dieses Wasser ausreichend vorhanden und Jesus schafft es, das Wasser in Wein zu verwandeln. Er verwandelt Mangel in Fülle. Die Leere, die sich auszubreiten drohte, hat er füllen können. 
Gott sei Dank war Jesus da.

Einerseits scheint es in dieser Zeit, in der wir gerade leben, nicht ganz passend zu sein, von einer Hochzeit zu lesen. Auf einer Hochzeit wird getanzt und gesungen, umarmt und miteinander gelacht, ein reichhaltiges Festessen miteinander geteilt und miteinander getrunken. Es wird das Leben und die Liebe gefeiert und dazu kommen in der Regel mehrere Dutzend Verwandte und Freundinnen und Freunde der Brautleute zusammen.

Wieviel Tränen sind seit letztem Jahr schon deshalb vergossen worden, dass wegen Corona solche schönen Hochzeitsfeiern ausgefallen sind. All das, was so ein Fest ausmacht, ist gerade nicht möglich, ist gefährlich, weil ein Virus leichtes Spiel hätte und viele anstecken könnte. Was für eine verdrehte, traurige und schwere Situation für alle Brautpaare und anderere Menschen, die gerne ein Fest feiern möchten.
Andererseits gibt die Angst vor dem Mangel auch wieder, was wir erleben.

Sie haben keinen Wein mehr. 
Sie haben keine Lust mehr.
Sie haben keine Kraft mehr.    
Sie haben keine Nerven mehr.

Statt Feierlaune machen sich seit Monaten schon eine düstere Stimmung, Angst und Sorgen um die Gesundheit und die Zukunft breit. Die Blicke der Menschen im Gesundheitswesen sind wie leer. Zu anstrengend ist, was sie leisten müssen. So bedrückend ist, was sie miterleben müssen. Und Leere ist vielleicht auch die richtige Beschreibung für das, was viele andere Menschen zur Zeit fühlen.


Wer sieht diese Leere? 
Wer nimmt die Tränen wahr, die geweint werden?
Wer schenkt eine Hoffnung, dass sich Leere einst wieder in Fülle, rein funktionelles Leben wieder in fröhliches unbeschwertes Leben wandeln kann?

In einem Kindergottesdienstlied wird Gott gebeten „Sammle meine Tränen in deinem Krug!“  (Psalm 56,9b) und beim Singen ist es möglich, dass die Kinder ihre Sorgen, die sie auf Tränentropfen aus Papier aufschreiben, zerknüllen und in einen echten Tonkrug werfen, der herumgereicht wird. Eine anschauliche Gebetsaktion. Und die Kinder merken, meinen Kummer, meine Ängste, was sich leer und schwer anfühlt, kann ich Gott anvertrauen.

Wir haben ja die Hoffnung, dass Gott wie bei dem Weinwunder diese Leere verwandeln kann. Da wird ganz gewiss einmal wieder fröhliches unbeschwertes Lachen und Beisammensein möglich sein. Da wird ganz gewiss einmal wieder gemeinsames Essen und Trinken mit der ganzen Familie und mit Freundinnen und Freunden und in der Gemeinde möglich sein. Wenn wir denken, wir sind am Ende, die Stimmung ist bald total im Keller, möge es passieren wie bei dem Wunder damals in Kana, dass sich die Leere wieder füllt.

Wie? Vielleicht so, indem wir schauen, was um uns da ist. Da ist ja nicht nichts, zwar kein Wein, aber Wasser. Im Moment zwar keine große Feiern, aber doch die Hoffnung, dass Menschen zueinander stehen. Zwar keine Fülle wie wir sie kennen und schätzen, aber doch gute Worte, die unser Herz erfüllen können. Das „Ich habe dich lieb!“ des Bräutigams zur Braut gilt und trägt auch und gerade im grauen und schweren Alltag. Und Gottes „Ich habe euch lieb!“ gilt nach wie vor. Möge diese Zusage unsere Herzen und Gedanken erfüllen und durch all die Durststrecken tragen, die wir gerade erleben. Amen.

DIE HOCHZEIT ZU KANA

1 Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. 2 Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. 3 Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4 Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5 Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. 6 Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maß. 7 Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. 8 Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. 9 Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam 10 und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. 11 Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

(Johannes 2, 1-12)